In einer Zeit, als Survival-Horror noch zu den absoluten Vorzeige-Genres gehörte, buhlten vor allem zwei Marken um die Gunst der Spieler: Resident Evil und Silent Hill. In ihrer Machart gänzlich unterschiedlicher Ausrichtung gelang beiden der Sprung in die Popkultur. Doch während Erstere bis heute neue Serienteile hervorbringt und sich mit fulminanten Remakes inzwischen quasi selbst eingeholt hat, erlebten Silent-Hill-Fans vor inzwischen gut zehn Jahren mit Downpour ein letztes und recht schwaches Aufbäumen der einst so großen Franchise.

Wenn es mit Fortsetzungen also nicht klappt, dachte sich der endlich aus dem Winterschlaf erwachte Rechteinhaber Konami, dann sollten wir es vielleicht auch mit einem Remake versuchen. Anstatt aber erst einmal einen Testballon zu starten, ging man das Wagnis ein, direkt das beliebteste Silent Hill in die Hände des Bloober Teams zu legen. Die Reaktionen der Fans waren gemischt: Einerseits herrschte große Vorfreude, den Klassiker im frischen Technikgewand neu zu erleben, andererseits trauten viele dem Entwicklerteam aus Polen nicht zu, dieses Projekt stemmen zu können.

Dann kamen die ersten Trailer und die Reaktionen fielen übel aus. Die Befürchtung stand im Raum, dass Silent Hill 2 plötzlich zum Action-Game im Stile eines Resident Evil umgepolt werden sollte, und dann diese seltsam anmutenden Gesichter, die schwache Grafik und auch sonst … doch wie sich nun zeigt, können die unkenden Frösche ruhigen Gewissens wieder von ihren Seerosen hüpfen. Denn Bloober Team hat am Ende geliefert!

Aber von vorne:

Das neue Silent Hill 2 versteht sich als Remake im besten Sinne und hat sich von daher dem Ziel verschrieben, dem Original bestmöglich zu entsprechen. Von daher bleiben Geschichte und Charaktere inhaltlich unberührt, wenngleich sich hier und da leichte Anpassungen und Erweiterungen in den Textzeilen finden lassen. Um diese als solche zu erkennen, muss man allerdings schon das Original als Vergleich darüber legen.

Also keine Sorge: Die Story bleibt so mysteriös, so düster, so schmerzlich melancholisch, wie sie es schon immer war – und lässt mit ihrer schieren Symbolkraft erneut so viel Spielraum für Interpretationen, wie sonst nur ein David Fincher-Film.

Und in einem solchen wähnt man sich bei Silent Hill 2 auch, kommen wir zu Beginn doch in der Rolle des James Sunderland auf einem Parkplatz kurz vor dem namensgebenden Örtchen Silent Hill an. Hier, umringt von Wäldern am Rande eines Sees, haben James und seine Frau Mary vor einigen Jahren einen gemeinsamen Urlaub verbracht, dann wurde sie krank und verstarb.

Drei Jahre ist dies nun her, als James plötzlich einen Brief erhält, der angeblich von Mary stammt. Dass sie ihn an ihrem gemeinsamen „besonderen Ort“ treffen wolle, heißt es darin, und James reimt sich zusammen, dass es sich dabei um Silent Hill handeln muss. Entgegen jeder Logik und Vernunft macht er sich also auf, um nach seiner Frau zu suchen. Wo genau diese in Silent Hill angeblich auf ihn warten will, weiß er nicht – und weshalb der nahezu vollkommen verlassene Ort in tiefen Nebel gehüllt förmlich zu verwesen scheint, ebenso wenig.

Zu allem Überfluss trachten ihm auch noch entstellte Monstrositäten nach dem Leben, gegen die er sich nur mit Waffengewalt zu wehren weiß. Doch das alles hindert James nicht daran, sich immer tiefer in das faulige Fleisch dieser Stadt zu bohren, um dem Geheimnis auf den Grund zu gehen, welches ihn hierhergelockt hat.

Der Horror im Kopf

Für James und den Spieler entspinnt sich auf dieser Grundlage ein verstörender Trip, der im Gegensatz zur Resi-Konkurrenz den eigentlichen Horror nicht direkt auf dem Screen inszeniert, sondern den wahren Schrecken auf die Bühne der eigenen Fantasie auslagert. Schon vor Spielstart wird man vor der Konfrontation mit Themen wie sexueller Gewalt, Kindesmissbrauch, Mobbing oder auch Selbstverletzung und Suizid gewarnt.

Harter Tobak, doch Silent Hill 2 nutzt diese Motive nie selbstzweckhaft oder für darstellerische Skandalpropaganda. Sie dienen mit gebührendem Abstand viel mehr als narrative Grundlage für die Motive und Handlungen der Protagonisten. Sie sind somit eher so etwas wie schwer zu lesende Straßenschilder auf dem Weg in den Wahnsinn, den James in Silent Hill nicht allein beschreitet.

Und so beginnt man – im Gegensatz zum mitunter fast schon apathisch wirkenden James – zu hinterfragen, was zur Hölle in diesem seltsamen Kaff eigentlich vor sich geht, und ob das alles überhaupt real sein kann.

Ihr seht schon: Die Story von Silent Hill 2 ist ein aus vielen Facetten gewebtes fragiles Kunstwerk, das neu zu gestalten ein enorm feines Händchen erfordert. Ein einzelner neu geschriebener Satz im Script könnte ohne die nötige Behutsamkeit das ganze Konstrukt in sich zusammenfallen lassen.

Doch mit Blick auf das Remake kann man sich nur vor dem Bloober Team verbeugen: Das Narrativ hat auch nach all den Jahren nichts von seiner morbiden Faszination verloren, welche Silent Hill 2 einst den Status eines Kultspieles und vielleicht sogar des besten Horror-Games aller Zeiten einbrachte.

Der spielerische Anteil alleine hätte dies nämlich nicht stemmen können, so ehrlich muss man in der Rückschau sein. Und da blicken wir natürlich vor allem auf das Kampfsystem, das selbst für die damalige Zeit äußerst hakelig daherkam und fürwahr nie als große Stärke des Titels gehandelt wurde. Doch Silent Hill 2 ist nun einmal ein Survival-Horror-Game, das kurioserweise eben durch seine Limitationen überhaupt erst seine volle Wirkung entfalten konnte.

So ist der allumfassende Nebel eigentlich nur eine Notlösung hinsichtlich der geringen Rechenpower der Playstation 2 gewesen, diente letztlich aber als Katalysator für die immens dichte Atmosphäre angsterfüllter Ahnungslosigkeit, mit der wir Silent Hill auf den Zahn fühlen. Und dass unser Protagonist als Normalbürger ohnehin nicht kämpfen kann, trägt seinen Teil dazu bei.

Mit der Technik und dem Wissen von heute, wäre das alles nun nicht mehr nötig. Silent Hill könnte bei bestem Wetter umfassende Fernsicht bieten, James ohne weiteres mit einem wehrhaften Moveset ausgestattet, die Monster vielfältiger und größer daherkommen … doch dann wäre es nicht mehr Silent Hill 2.

Gameplay alter Schule

Das wissen auch die Macher vom Bloober Team, die von daher vor der großen Frage standen, wie man das Gameplay sinnvoll in die Gegenwart transportiert. Die Antwort: Gar nicht. Tatsächlich haben die Entwickler aus Polen ein Spiel kreiert, das sich im Guten wie im Schlechten so wunderbar nach Jahrtausendwende anfühlt, dass dieser Umstand junge Spieler womöglich etwas abschrecken könnte.

Und auch wir haben immer wieder eine Lock-On-Funktion auf den Gegner vermisst, wenn der Schlag mit unserer Keule mal wieder daneben ging, und wir plötzlich nicht mehr wussten, von wo dieser verdammte kriechende Leichensack nun als nächstes angreifen würde. Das Ausweichmanöver hilft nur lokal gegen einzelne Attacken und vor allem in engen Innenräumen kaum bei einer taktischen Positionierung. Der Nahkampf wirkt somit recht sperrig und träge. Besser läuft es da schon, sobald wir eine Waffe in die Hände bekommen, allerdings gilt es, mit der Munition zu haushalten, denn diese ist rar.

Oder sollte es zumindest sein, denn in unserem Durchlauf auf der Standardschwierigkeit müsste es in James unendlich tiefen Taschen eigentlich gehörig geklimpert haben, hatten wir zuweilen doch über 150 Schuss für die Pistole auf der Uhr. Auch über die in Schubladen oder Schränkchen zu findenden Pillendosen (für einen kleinen Heilschub) und Spritzen (für vollständige Heilung) verfügten wir zur Spielmitte hin in Hülle und Fülle. Dies nimmt den Gegnern zwar rein spielerisch den Schrecken, aber das kompensiert Silent Hill 2 mit seiner zum Schneiden dichten Atmosphäre bravourös – zumal wir letztlich für unseren Erkundungsdrang belohnt worden sind.

Denn neben der Story, den (vielen) für das Genre obligatorischen Rätseln und den Kämpfen, nimmt die Erkundung von Silent Hill den größten Teil der Spielzeit ein. Dies sogar noch mehr als im Original, hat Bloober Team die Szenarien doch nun etwas größer und komplexer angelegt.

Mehr zu entdecken

Mit einem steten Blick auf die ungemein hilfreiche Karte, auf der James mit einem Rotstift stets alle wichtigen Infos markiert, durchforsten wir hochmotiviert jeden noch so kleinen Winkel eines Krankenhauses, Apartment-Komplexes oder Gefängnisses und erkunden selbst die kleinste Seitenstraße – stets mit einem wachsamen Ohr auf unser Taschenradio, dessen jähes Rauschen uns vor nahen Feinden warnt.

Neben Munition und Heilmittel entdecken wir dabei auch etwas Sammelkram, dank dem wir zwei neue Enden freischalten können, die zu den ohnehin schon sechs möglichen Enden des Originals hinzukommen.

Im Kern ist Silent Hill 2 trotz seines komplex anmutenden Aufbaus aber tatsächlich ein überraschend lineares Erlebnis, welches den aufmerksamen Spieler recht gekonnt durch das Spiel leitet. Dies kommt vor allem in den ausufernden Innenbereichen zum Tragen, wenn wir etwa im Krankenhaus über mehrere Stunden und vier Etagen hinweg in sich verzahnte Rätsel lösen müssen, um dabei Gegenstände zu finden, die wir zum Lösen von weiteren Rätseln benötigen.

Die Schwierigkeit dieser lässt sich separat herunterregeln. Auch hier auf Standard spielend haben wir uns aber stets angenehm gefordert gefühlt, ohne dabei je wirklich auf der Stelle zu treten. Fraglos kann es passieren, dass man einen wichtigen Gegenstand übersieht, wer mit Blick auf die Karte und dem Wissen, dass weiße Binden einen möglichen Durchgang markieren, an die Sachen herangeht, wird aber früher oder später die Lösung finden.

Nun ist die reine Existenz von irgendwelchen seltsamen Mechanismen, die irgendwo zuvor verschlossene Türen öffnen oder Gegenstände freigeben, zwar alles andere als logisch. Aber das ist ohnehin ein Adjektiv, welches wohl am weitesten davon entfernt ist, einen Ort zum umschrieben, der jederzeit in ein höllisches Abbild seiner selbst zu wechseln droht, und an dem ein gewisser Typ mit einem gigantischen pyramidenförmigen Helm sein Unwesen treibt.

Wer das Original gut kennt, wird sich übrigens das eine oder andere Mal wundern. Bloober Team hat sich nämlich die Freiheit genommen, die Rätsel neu zu arrangieren und auch weitere hinzugefügt, die es im Original so noch nicht gab. Ohnehin verbeugt sich das Remake regelmäßig vor dem ursprünglichen Werk, so dass alte Hasen immer mal wieder mit einem wissenden Lächeln nicken werden.

Altes Spiel, neue Technik

Grafisch macht Silent Hill 2 auf Basis der Unreal Engine 5 einen ausgesprochen guten Eindruck. Die Szenarien wirken in ihrer trostlosen Einsamkeit detailliert, die Figurenmodelle transportierten über ihre Gestik und Mimik nuancierte Emotionen, die ihren Playstation-2-Pendandts noch verwehrt waren, und vor allem kann man die Kamera nun jederzeit frei drehen. Wir erinnern uns: Im Original war der Blickwinkel noch statisch.

Nur hier und da kommt es beim Spielen zu Einbrüchen in der Bildrate und vereinzelten Grafikfehlern. Da Silent Hill 2 ein eher langsames Spiel ist, haben wir ausnahmsweise im höher aufgelösten Qualitätsmodus gespielt, und dafür auf die schnellere Bildrate verzichtet. Viel von der Optik geht aber auch im Leistungsmodus nicht flöten, schaut also am besten einfach selbst, was euch mehr zusagt – falsch machen kann man da nichts.

Eine besondere Erwähnung verdient abschließend noch das Sounddesign. Das Original von 2001 gilt in dem Medium als eines der absoluten Paradebeispiele dafür, wie stark die Atmosphäre eines Videospieles von zielsicherer akustischer Untermalung profitieren kann. Das Horror-Genre eignet sich dafür bekanntermaßen am besten, und nur wenige beherrschen dieses so virtuos wie der japanische Sounddesigner und Komponist Akira Yamaoka. Dieser ist ein fast so populäres Aushängeschild der Franchise wie Pyramid Head oder die gesichtslosen Krankenschwestern und hat mit seiner Arbeit maßgeblich zum Erfolg der Reihe beigetragen.

Auch beim Remake von Silent Hill 2 war Yamaoka wieder am Werk und seid von daher versichert: Der Sound wird euch auch diesmal nach allen Regeln der Kunst das Fürchten lehren! Schade nur, dass es nicht für eine deutsche Synchro gereicht hat.

Fazit:

Silent Hill ist wieder da: Allen Unkenrufe zum Trotz hat Bloober Team einem der größten Horror-Klassiker im Bereich der Videospiele ein Remake auf den Leib geschneidert, welches werkstreuer kaum hätte ausfallen können. Obwohl mehr als zwei Dekaden zwischen dem Original und der Neuauflage liegen, hat sich das neue Silent Hill 2 die gleiche morbide, trostlose und unvergleichlich dichte Atmosphäre zu Eigen gemacht, die schon das Original auszeichnete.

Hinsichtlich des mitunter etwas hakeligen Gameplays hätten wir das Spiel als komplett neues Werk deutlich schlechter bewertet. In dem Bestreben, den Geist und die Seele des Originals zu wahren, haben die Macher des Remakes aber genau die richtigen Entscheidungen getroffen, um uns ein herrlich oldschooliges Erlebnis im frischen Technikgewand zu bescheren – genau das also, was die Fans verlangt haben!

Insbesondere jene dürften dann auch die subtilen Veränderungen bemerken, die Bloober Team in Sachen Spielaufbau, Erzählung und vor allem auch im Rätseldesign vorgenommen hat. Doch selbst beinharte Kenner des Originals dürften sich an diesen kaum stören, wurde hier doch mit Sinn und Verstand an den richtigen Schrauben gedreht.

Ob das bewusst auf altmodisch getrimmte Silent Hill 2 auch in dieser Generation Kultstatus erreichen wird, muss sich erst noch zeigen. Aber sicher ist schon jetzt: Das Remake macht dem Original keine Schande – ganz im Gegenteil!

Silent Hill 2 ist für PlayStation 5 und Microsoft Windows erhältlich.